Sexualität, Ehe und Familie sind aus Sicht der reformatorischen Theologie zentrale Ausdrucksformen menschlichen Lebens, die grundlegend sind für unsere Kultur, sich aber in ihrer konkreten Gestaltung keineswegs von selbst verstehen. So zeichnen sich in den letzten Jahrzehnten erhebliche Veränderungsprozesse auf diesem Feld ab. Zugleich scheinen Paarbeziehungen und Familie als Wertmuster kaum etwas von ihrer Relevanz eingebüßt zu haben. Neben einer soziologisch differenzierten Erforschung der Situation ist es elementar, die Diversität von Ehe und Familie historisch zu untersuchen und dabei auch die sozialethischen und theologischen Deutungen von Ehe und Familie präziser zu erfassen als das bislang der Fall ist. Praktisch-theologisch interessiert nicht zuletzt der Orientierungsgewinn für die kirchliche Praxis in Seelsorge und Unterricht. Dass es dafür einen Bedarf gibt, ist u. a. an den Irritationen und Verunsicherungen erkennbar, die die EKD-Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ (2013) auslöste. Die Monographien von Isolde Karle „Da ist nicht mehr Mann noch Frau“ und „Liebe in der Moderne“ widmen sich diesen Fragen, die weiter vertieft werden sollen.
Das Institut führt regelmäßig Symposien und Workshops durch, die sich der interdisziplinären Erforschung des Verhältnisses von Religion und Gesellschaft widmen. Aus praktisch-theologischer Perspektive interessiert insbesondere, wie sich die Kirche auf die Individualisierung und Pluralisierung von Religion einstellen kann und ob und in welcher Hinsicht von einer Säkularisierung der Gesellschaft oder auch von einem neuen Interesse an Religion („Religionsboom“) gesprochen werden kann. Inwiefern befähigt Religion Menschen dazu, sich kontingenzsensibel für Pluralität und Fremdheit zu öffnen? Wie kann der Glaube Kontingenz zulassen und zugleich bearbeiten? Wie kann sich die Kirche öffnen für Formen und Tendenzen frei vagabundierender Religiosität, ohne ihre eigene Signatur zu verlieren? Wie kann das explizit Christliche in Wechselwirkung mit den in Zwischenräumen angesiedelten Formen implizit christlicher Praxis und Kommunikation bewahrt und fortentwickelt werden? Nicht zuletzt stellt sich im Hinblick auf den Öffentlichkeitsauftrag der Kirche die Frage, wie sich Kirche auf politische Entwicklungen in einer pluralistischen Gesellschaft beziehen kann, ohne lediglich als Moralagentur der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Wir laden regelmäßig international ausgewiesene Forscherinnen und Forscher, aber auch Führungspersonen aus der Praxis ein, um über diese Fragen ins Gespräch zu kommen und weiterführende Perspektiven zu entwickeln.
Der Körper erfährt in der spätmodernen Gesellschaft zunehmend an Aufmerksamkeit („body turn“). Dabei geht es einerseits um ein intensives Körpererleben angesichts vielfältiger Identitätsverunsicherung und andererseits um eine Optimierung des Körpers, die den Körper gesünder, schöner, „normaler“ im Sinne von normgerechter machen soll. Die Theologie hat bislang kaum auf diese gesellschaftlichen Veränderungsprozesse reagiert. Nach wie vor ist der Körper und sind Körpernormen ein marginalisiertes Thema der Praktischen Theologie. Dabei ist es für die Seelsorge, aber auch für Bildungsprozesse und nicht zuletzt für das Predigen über lebensweltliche Probleme und Gefühle elementar, diese Fragen moderner Lebensführung soziologisch sensibel und praktisch-theologisch angemessen zu reflektieren und Strategien des Umgangs damit zu entwickeln. Es gilt, die Ambivalenz der Praktiken und Strategien, die sich mit dem Leiden und Arbeiten am Körper verbinden, differenziert zu betrachten, ihre tiefe existentielle Verankerung in (Gender-)Identitäten und Gefühlen wahrzunehmen und entsprechend sowohl kritisch als auch würdigend mit ihnen umzugehen.
Kommen Menschen egoistisch zur Welt und werden sie erst durch Erziehung, Kultur und Religion mühsam für die Bedürfnisse anderer sensibilisiert? Es mehren sich in den letzten Jahrzehnten Stimmen, die die Vorstellung, dass der Egoismus entscheidende Grundmotivation für das menschliche Handeln sei, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven in Frage stellen. Wir gehen dieser Spur im interdisziplinären Gespräch nach und haben dazu eine Forschergruppe an der Ruhr-Universität gebildet (mit den Proff. Traugott Jähnichen, Norbert Ricken, Thomas Söding und Jürgen Straub). Mehrere Symposien zum Thema haben wir bereits durchgeführt. Das letzte Symposion (2017) befasste sich mit der Frage: Warum helfen Menschen? Dabei zeigte sich, dass die Liebe zum Nächsten keine Selbstverneinung bedeuten muss, sondern als Erweiterung des eigenen Selbst, das sich mit anderen grundlegend verbunden weiß, und als heilsamer Resonanzraum erfahren werden kann. Die konkreten Bedingungen für ein solches, nicht selbstzerstörerisches Engagement für den Nächsten sind in Kontexten ehrenamtlichen Helfens, aber auch in Beziehungen im Privatheitssystem genauer zu untersuchen und zu beschreiben.
Isolde Karle hat ein Lehrwerk zur Praktischen Theologie innerhalb der Lehrwerksreihe der Evangelischen Verlagsanstalt veröffentlicht (2020). Das Lehrwerk stellt eine Gesamtdarstellung des Faches Praktische Theologie dar. Historische Perspektiven kommen dabei ebenso zur Geltung wie die Vielfalt aktueller Diskurse. Das Lehrwerk ist interdisziplinär angelegt. Fragen zu Religion, Identität, Lebensführung, Biographie, Kirche, Kommunikation und Gesellschaft werden soziologisch analysiert, bevor sie in einem theologischen Horizont gedeutet werden. Das Lehrwerk besteht aus zehn Kapiteln. Es beginnt mit einer Reflexion zum Selbstverständnis des Faches (1) und geht sodann der Funktion von Religion (2), Kirche (3) und Pfarrberuf (4) in der Moderne nach. Den Hauptteil bilden die großen Subdisziplinen der Praktischen Theologie: Homiletik (5), Liturgik (6), Poimenik (7) sowie die Theorie der Kasualien (8). Abgeschlossen wird das Lehrwerk durch Ausführungen zur Diakonie (9) und zur religiösen Medienkommunikation (10). Das Lehrwerk fasst nicht nur Forschungsperspektiven der Praktischen Theologie zusammen, sondern enthält selbst neue Forschungsergebnisse, die im intensiven Austausch praktisch-theologischen Konzeptionen entwickelt werden.
Das Evangelische Studienwerk e.V. Villigst hat im Herbst 2013 einen neuen interdisziplinären Forschungsschwerpunkt mit dem Titel „Dimensionen der Sorge“ eingerichtet. Neben der Lehrstuhlinhaberin führen die Professoren Micha Werner (Philosophie, Universität Greifswald), Anna Henkel (Soziologie, Universität Lüneburg) und Gesa Lindemann (Soziologie, Universität Oldenburg) den Forschungsschwerpunkt in interdisziplinärer Kooperation durch. Das Projektteam hat am 1. Juni 2014 seine Arbeit aufgenommen.
Für weitere Informationen zum Promotionsschwerpunkt wenden Sie sich an Isolde Karle oder klicken Sie hier.
Jedem betreuenden Professor/jeder Professorin sind jeweils fünf Stipendien für jeweils zwei Jahre in dem insgesamt fünf Jahre laufenden Forschungsprojekt zugeordnet.
Vom 21.-22. September 2017 hat die 3. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Sie stand unter dem Thema "Sorget nicht - Kritik der Sorge". Ein Programm finden Sie hier.
Vom 13.-14. September 2018 hat die 4. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Sie stand unter dem Thema "Grenzen der Sorge". Ein Programm finden Sie hier.
Vom 19.-20. September 2019 hat die 5. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Sie stand unter dem Thema "Sorge und Sorgefreiheit: Grenzen, Atmosphären, Rahmenbedingungen". Ein Programm finden Sie hier.
Vom 01.-02. Oktober 2020 hat die 6. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Ein Programm finden Sie hier.
Vom 30. September bis 01. Oktober 2021 hat die 7. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Sie stand unter dem Thema "Zeit. Idealtypen und Perspektiven gegenwärtigen Zukunftsbezugs". Ein Programm finden Sie hier.