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Aktuelle Forschungsprojekte am Institut

Aktuelle Forschungsprojekte von Isolde Karle

Mit zwei einschlägigen Monographien ("Da ist nicht mehr Mann noch Frau ..." Theologie jenseits der Geschlechterdifferenz"; "Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität und Ehe") liegt ein wesentlicher Forschungsschwerpunkt von Isolde Karle auf Gender, Körperlichkeit, Sexualität und Lebensformen. Dieser Schwerpunkt findet aktuell seine Fortsetzung im erweiterten Fokus auf Diversitätsforschung. Dabei geht es um die Frage, was eine queere Identität für Pfarrer*innen bedeutet, wie Diskriminierungserfahrungen und Übergriffigkeiten in (universitären sowie kirchlichen) Institutionen bearbeitet werden und grundsätzlich, wie Diversitätsforschung in der praktisch-theologischen Forschung rezipiert und weiterentwickelt werden kann. So werden Fragen des Rassismus, des Ableismus und des Klassismus immer noch sehr randständig in der Praktischen Theologie behandelt. Isolde Karle widmet sich diesen Fragen, nicht zuletzt motiviert durch ihre Erfahrungen als Prorektorin für Diversität, und verfolgt das Ziel, eine Theorie der Diversität für die Praktische Theologie zu entwickeln, die die Paradoxien und Trilemmata (Mai-Anh Boger) der unterschiedlichen Inklusionsstrategien reflektiert und für die gesellschaftliche und kirchliche Praxis fruchtbar zu machen sucht.

Isolde Karle hat mit ihrer Professionstheorie ("Der Pfarrberuf als Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft") bereits 2001 eine grundlegende Reflexion des Pfarrberufs vorgelegt, die auf Professionalität und nicht auf eine besondere Weihe oder religiöse Interpretation der pastoralen Berufstätigkeit abstellt. In der Konsequenz dieser Theorie fokussiert sie sich nun auf das Thema „Pastoralmacht“ (Michel Foucault), um die Professionstheorie machtkritisch weiterzuentwickeln. Die Publikation der ForuM-Studie (2024) zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche, die u. a. von Pfarrern verübt und gedeckt wurde, ist dafür der Anlass. Dabei geht es nicht zuletzt darum, die Intransparenz von Machtausübung in der evangelischen Kirche kritisch zu reflektieren, die Frage der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den Fokus zu rücken und für Fragen der pastoralen Ausbildung mit Blick auf sexualisierte Gewalt zu sensibilisieren.

Schon seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit beschäftigt sich Isolde Karle mit Fragen der Seelsorgetheorie. In den vergangenen Jahren fokussierte sie sich auf Grenzsituationen am Lebensanfang und -ende, die Anlass für Seelsorge werden. So hat sie sich intensiv mit Seelsorge im Zusammenhang des assistierten Suizids befasst und in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis von Seelsorge und Ethik reflektiert. Spiritual Care ist ein weiterer Fokus ihrer Forschung: Welche Funktion und welche Praktiken hat Seelsorge als Spiritual Care im Kontext des Sterbens im Krankenhaus, auf Palliativstationen und im Hospiz? In diesem Zusammenhang ist auch der interdisziplinäre Forschungsschwerpunkt „Dimensionen der Sorge“ der Ev. Studienstiftung Villigst zu nennen, den Isolde Karle seit nunmehr 2014 mitverantwortet. Aus dem Schwerpunkt entstanden viele Publikationen und Qualifikationsschriften, die die Paradoxien und Komplexität des Themas „Sorge“ vor Augen führen. Auch die Reflexion der Militärseelsorge bildet seit 2016 einen Forschungsschwerpunkt.  Im Zusammenhang von Seelsorge und Diakonie ist auf die Studien zur Bahnhofsmission hinzuweisen, die Isolde Karle teilweise betreut und teilweise auch selbst durchgeführt hat. Die Theorie des Helfens, die sich daraus ergibt, soll auch für andere Handlungsfelder – wie bspw. die Telefonseelsorge – fruchtbar gemacht werden.

Das Institut führt regelmäßig Symposien und Workshops mit ausgewiesenen internationalen Forscher*innen durch, die das Verhältnis von Religion und Gesellschaft erforschen und sich dabei auf unterschiedliche Problemstellungen fokussieren. Als Fragen ergeben sich: Wie kann sich die Kirche auf die Individualisierung und Pluralisierung von Religion einstellen? In welcher Hinsicht kann von einer Säkularisierung der Gesellschaft oder auch von einem neuen Interesse an Religion bzw. Spiritualität gesprochen werden? In diesem Zusammenhang fokussiert sich Isolde Karle auch auf die Interpretation der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen, die von einem engen Religionsbegriff ausgehen und damit die gegenwärtige religiös-spirituelle Entwicklung nicht präzise genug in den Blick nehmen. Wie kann das explizit Christliche in Wechselwirkung mit den in Zwischenräumen angesiedelten Formen implizit christlicher Praxis und Kommunikation bewahrt und fortentwickelt werden? Diese Frage stellt sich auch mit Blick auf die Veränderungen der Kasualpraxis in Segensagenturen. Darüber hinaus beschäftigt sich Isolde Karle mit dem interreligiösen Dialog und der interreligiösen Praxis. Sie ist verantwortlich für den universitären Raum der Stille, der ein Praxis- und Forschungsfeld eigener Art darstellt.
Das Institut fokussiert sich ferner auf die Frage, wie sich Kirche konstruktiv auf politische Entwicklungen beziehen kann. Isolde Karle hat insbesondere mit Blick auf die Coronakrise dazu geforscht, welche Erwartungen an die Kirche bestanden und wie die Kirche auf die Krise reagierte. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt auf dem zunehmenden Antisemitismus und der Frage, wie mit gesellschaftlichen Multikrisen und dem zunehmenden Rechtsradikalismus und Rassismus umgegangen werden kann.

Habilitationsprojekte

Im Rahmen meines ethnografischen Habilitationsprojekts exploriere ich 'Gottesdienst' und 'Demenz' als soziomaterielle Gemengelagen, die in wechselseitiger Verwobenheit miteinander ins Entstehen kommen. Das mittlerweile breit diskutierte Paradigma der Demenzfreundlichkeit greife ich dabei auf, um es mit Einsichten aus teilnehmenden Beobachtungen, Feldgesprächen und Artefaktanalysen ins Gespräch zu bringen. Im Lichte einer dispositivkritischen Lecture der so gewonnenen Daten nämlich erscheinen Gottesdienst und Seelsorge als zutiefst eingelassen in die oft asymmetrischen Prozesse der Hervorbringung von ‚Demenz‘. Erkennbar wird auch, dass Therapeutisierung, Klientelisierung und Professionalisierung, die im Hintergrund des bedürfnisorientierten Diskurses stehen und dort als unhinterfragte Selbstverständlichkeiten wirksam werden, durch widerständige Praktiken jener Feldteilnehmer:innen unterlaufen werden können, denen die Zuschreibung von 'Demenz' gilt. Gottesdienst stellt sich in dieser Optik als ein von Machtdynamiken durchzogenes Geflecht dar, in das die teilnehmend beobachtende Ethnografin selbst mit hineinverstrickt ist und das mit unterschiedlichen Positionierungseffekten einhergeht. Ein weiteres Hauptaugenmerk gilt darum der Frage nach Handlungsmacht, die sich unter ereignistheoretischer Fokussierung von einzelnen Akteuren löst und als eine über menschliche und nicht-menschliche Partizipanden verteilte Hervorbringung begreifen lässt. Darin wiederum erfährt der machtanalytische Blick auf Gottesdienst eine kritische Korrektur. Die in den Daten beschriebenen gottessdienstlichen Praktiken werden infolgedessen wieder als Ereignisse lesbar, mittels derer die Feldteilnehmer:innen im freien Spiel der Kräfte mit-, neben und bisweilen auch gegeneinander die für sie relevanten Themen aushandeln. In solcher Multiperspektivität der Theoretisierungen kann diese Studie kein neues Modell für demenzfreundliche pastorale Praxis entwerfen. Im Gegenteil, sie stellt diese Erwartung vielmehr in Frage, arbeitet darin aber zugleich einer Haltung zu, die sich für die eigene Praxis sensibilisiert, indem sie diese selbstreflexiv in den Blick zu nehmen weiß.

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Das Recht durchdringt unser Leben. Auf der Predigtkanzel scheint es aber mehrheitlich keinen Platz zu haben, denn die Kommunikation des Evangeliums steht zunächst einmal für Freiheit und Zuspruch und nicht für Regeln und Anspruch. Die Diskussionen über die „Gesetzlichkeit der Predigt“ aus dem 20. Jahrhundert hat diese Sicht wahrscheinlich nur noch verstärkt. Dies stellt Prediger*innen in der Gegenwart allerdings vor Herausforderungen: Wenn sie sich in Predigten über aktuelle Themen im Bereich der Menschenrechte, des Völkerrechts, Naturrechts oder des Rechts auf Asyl äußern wollen, fehlt ein allgemeiner hermeneutischer Zugang zum biblischen Recht genauso wie ein homiletischer Ansatz.
Interdisziplinäre Zugänge regen aktuell zu einer neuen Perspektivierung für die Homiletik an. Wie kann eine rechtliche Orientierung in religiöser Sprache gelingen, ohne dass dabei die Kommunikation des Evangeliums in der Predigt in Frage steht? Das Habilitationsprojekt setzt bei der Beantwortung dieser Forschungsfrage bei den Predigten des „Kirchenvaters des 19. Jahrhunderts“ Friedrich D. E. Schleiermacher (1768–1834) an, mit dem Ziel, eine homiletische Perspektive für den Umgang mit Recht und Gesetz in Predigten in der Gegenwart zu entwickeln. Sowohl die Untersuchung seines Rechtsdenkens als auch des seit 2017 vollständig edierten Predigtkorpus Schleiermachers stellen dabei Forschungsdesiderate dar.

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Dissertationsprojekte

Promotionsschwerpunkt: Dimensionen der Sorge

Das Evangelische Studienwerk e.V. Villigst hat im Herbst 2013 einen neuen interdisziplinären Forschungsschwerpunkt mit dem Titel „Dimensionen der Sorge“ eingerichtet. Neben der Lehrstuhlinhaberin führen die Professoren Micha Werner (Philosophie, Universität Greifswald), Anna Henkel (Soziologie, Universität Lüneburg) und Gesa Lindemann (Soziologie, Universität Oldenburg) den Forschungsschwerpunkt in interdisziplinärer Kooperation durch. Das Projektteam hat am 1. Juni 2014 seine Arbeit aufgenommen.
Für weitere Informationen zum Promotionsschwerpunkt wenden Sie sich an Isolde Karle oder klicken Sie hier.
Jedem betreuenden Professor/jeder Professorin sind jeweils fünf Stipendien für jeweils zwei Jahre in dem insgesamt fünf Jahre laufenden Forschungsprojekt zugeordnet.

Vom 21.-22. September 2017 hat die 3. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Sie stand unter dem Thema "Sorget nicht - Kritik der Sorge". Ein Programm finden Sie hier.

Vom 13.-14. September 2018 hat die 4. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Sie stand unter dem Thema "Grenzen der Sorge". Ein Programm finden Sie hier.

Vom 19.-20. September 2019 hat die 5. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Sie stand unter dem Thema "Sorge und Sorgefreiheit: Grenzen, Atmosphären, Rahmenbedingungen". Ein Programm finden Sie hier.

Vom 01.-02. Oktober 2020 hat die 6. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Ein Programm finden Sie hier.

Vom 30. September bis 01. Oktober 2021 hat die 7. Jahrestagung in Villigst stattgefunden. Sie stand unter dem Thema "Zeit. Idealtypen und Perspektiven gegenwärtigen Zukunftsbezugs". Ein Programm finden Sie hier.

Vom 17.-18. Oktober 2024 fand die Abschlusstagung in Villigst statt. Sie steht unter dem Titel "Ungleichheit und Sorge". Ein Programm finden Sie hier.

Gilligan kritisiert zunächst klassische strukturgenetische Entwicklungspsychologien. Ihr fällt auf, dass Frauen in Kohlbergs Stufenmodell zum moralischen Urteil (Gerechtigkeitsdenken) niedriger eingestuft werden als Männer und dass die Arbeiten von Piaget und Kohlberg trotz rein männlicher Stichproben Universalitätsanspruch erheben. Im Anschluss an diese Beobachtung entwickelt sie als zweite Perspektive für moralische Urteile die Ethics of Care. Bei der Gerechtigkeitsperspektive orientiert man sich primär an festgeschriebenen Gesetzen und Normen. Bei moralischen Entscheidungen aus der Perspektive der Ethics of Care kommt es auf die Beziehung zu den Mitmenschen an. Ein Urteil ist kontextgebunden. Sowohl Anteilnahme als auch Verantwortlichkeit im sozialen Beziehungsgeflecht stehen im Fokus. Gilligan postuliert eine Pluralität in der menschlichen Kognition und zeigt, dass die universalistische Perspektive Kohlbergs zu relativieren ist.
Eine kritische Rezeption der Ethics of Care (Stärken und Schwächen) kann wichtige Impulse für die Religionspädagogik vermitteln. Worin liegen die Unterschiede zu einer strukturgenetischen kognitivistischen Entwicklungspsychologie? Wie können die beiden Perspektiven Gerechtigkeit und Care im Religionsunterricht im Umgang mit biblischen Texten, ethischen Konflikten und persönlichen Identitätsfragen der Schülerinnen und Schüler fruchtbar gemacht werden?

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